Covid-19 hat eine dunkle Seite offengelegt. Es geht um Gewalt, physische und psychische. Und manchmal sogar um Mord. Jeden Tag versucht laut Polizeistatistik in Deutschland ein Mann, seine (Ex-)Partnerin umzubringen. Und jeden dritten Tag gelingt das. Leider wird dieses Thema kaum besprochen, daher möchten wir dieses Thema aufgreifen und haben hierfür ein Interview mit Frauenhauskoordinierung e.V. geführt.
Kontaktdaten Frauenhauskoordinierung e.V.:
Frauenhauskoordinierung
e.V.
Tucholskystr. 11
10117 Berlin
www.frauenhauskoordinierung.de
Tel: 030 – 338 43 42 – 0 Zentrale
Fax: 030 – 338 43 42 – 19
Facebook: https://www.facebook.com/Frauenhauskoordinierung
Wann wurde die Frauenhauskoordinierung e.V. gegründet?
Frauenhauskoordinierung e.V. ist seit 2001, also fast 20 Jahren, aktiv. Frauenhäuser selbst gibt es aber in Deutschland schon viel länger. Das erste Frauenhaus hat 1976 seine Türen geöffnet, und zwar in Berlin, wo auch unsere Geschäftsstelle heute sitzt.
Wie viele Anmeldungen haben Sie durchschnittlich im Jahr?
Wir machen jedes Jahr eine Erhebung, die Frauenhausbewohner_innen-Statistik, an der etwa die Hälfte der etwa 369 Frauenhäuser in Deutschland teilnimmt. Wenn man die Ergebnisse unserer letzten Statistik (Daten zu 2018) zur Grundlage nimmt, kann man davon ausgehen, dass in deutschen Frauenhäusern jährlich mindestens 13.000 Frauen mit 15.000 Kindern Schutz finden. Wenn man Frauenschutzwohnungen (mit geringeren Sicherheits- und Betreuungsstandards als die Frauenhäuser) einbezieht, belaufen sich die Schätzungen sogar auf 18.000 Frauen mit 20.000 Kindern.
Und in diesen hohen Zahlen sind noch nicht einmal die Frauen inbegriffen, die angefragt haben, aber nicht aufgenommen werden konnten.
Gibt es in den Frauenhäusern immer ausreichend Kapazitäten? Was sollte ich tun, wenn ich mich an ein Frauenhaus wende und das nicht der Fall ist?
Leider ist das Hilfesystem in Deutschland chronisch unterfinanziert und ein riesiger Flickenteppich. Insgesamt fehlen in Deutschland mehr als 14.000 Frauenhausplätze, wenn man sich an den Vorgaben der Istanbul-Konvention – einem wichtigen internationalen Vertrag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen & Mädchen, den auch Deutschland unterschrieben hat – orientiert. Bisher haben wir etwa 6400 Plätze, und selbst um deren Erhalt muss vielerorts ständig gekämpft werden. Denn in vielen Städten und Kommunen ist die Finanzierung dieser Hilfsangebote freiwillig – das heißt im Grunde: Sie klappt, wenn gerade Geld übrig ist.
Das klingt natürlich erschreckend und ist auch ein schlimmer Zustand für einen so wohlhabenden Staat im 21. Jahrhundert. Trotzdem möchten wir Frauen, die Gewalt erleben und Schutz brauchen, unbedingt ermuntern, sich Hilfe in einem Frauenhaus zu suchen. Wenn ein Frauenhaus keinen freien Platz hat, wird es sich trotzdem bemühen, woanders einen Platz für die Frau zu finden oder eine andere Lösung aufzutun. Die Betroffenen werden nicht einfach leichtfertig abgewiesen.
Auf https://www.frauenhauskoordinierung.de/hilfe-bei-gewalt/frauenhaussuche/ kann jede_r ganz einfach nach einem Frauenhaus in der Nähe suchen. Einige Bundesländer (Hessen, NRW und Mecklenburg-Vorpommern) haben sogar Seiten, auf denen man sehen kann, wo gerade ein Platz frei ist.
Wie ist das Verfahren, sobald sich jemand bei Ihnen meldet?
Frauen, die Hilfe suchen, können sich entweder an
- die Polizei,
- eine Beratungsstelle in ihrer Nähe (https://www.frauenhauskoordinierung.de/hilfe-bei-gewalt/frauenhaussuche/),
- das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter 08000 116 016 oder
- direkt an ein Frauenhaus (Frauenhaussuche: s. vorige Frage) wenden.
Wenn Beratungsstelle, Polizei oder Hilfetelefon erkennen, dass es dringenden Schutzbedarf gibt, vermitteln sie auch an ein Frauenhaus.
Zum Schutz der Frauen haben die meisten Frauenhäuser eine geheime Adresse, sodass mit der jeweiligen Frau zunächst das Wichtigste telefonisch geklärt wird und sie (ggf. mit Kindern) dann an einem Treffpunkt abgeholt wird.
Im Frauenhaus bekommt sie dann umfassende Unterstützung – emotionaler Natur, aber auch bei ganz praktischen Dingen wie Wohnungssuche, möglicherweise einer Anzeige bei der Polizei, finanziellen Angelegenheiten oder der Abholung der Sachen aus der Wohnung etc.
Welche Schutzmaßnahmen gibt es in Bezug auf einen gewalttätigen Partner?
In Deutschland kann die Polizei zum Schutz der Betroffenen eine sogenannte Wegweisung aussprechen. Das heißt konkret, sie kann den/die Gewalttäter_in sofort aus der Wohnung bzw./dem Haus verweisen und für bis zu zwei Wochen ein Betretungsverbot für die Wohnung erteilen. In so einem Fall werden dem Täter dann auch die Schlüssel weggenommen. Solche Verbote können auch gerichtlich verlängert werden.
Außerdem kann auch das zuständige Bezirksgericht der gewalttätigen Person auftragen, die Wohnung zu verlassen und ihr den Aufenthalt an bestimmten Orten (z.B. Kindergarten, Schule) sowie die Kontaktaufnahme mit dem Opfer verbieten.
Frauenhäuser selbst arbeiten ebenfalls mit verschiedenen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Bewohner_innen – angefangen bei der geheimen Adresse des Hauses bis hin zu Sicherheitssystemen am Eingang.
Was kann eine Betroffene tun, wenn nicht nur sie, sondern auch ihr Kind bedroht wird? Wie kann sie es am besten schützen?
Die meisten Frauen bringen ihre Kinder mit ins Frauenhaus. Schwierig wird das mitunter bei älteren Söhnen, da viele Frauenhäuser eine Altersgrenze für Jungen haben. Für diese muss ggf. eine andere Unterbringungsmöglichkeit gefunden werden.
Die Kinder mit ins Frauenhaus zu bringen, ist ein wichtiger Schritt zum Schutz. Wenn Kinder von Gewalt betroffen sind, werden entsprechende Stellen der Kinder- und Jugendhilfe hinzugezogen. Doch selbst wenn der Täter keine körperliche Gewalt gegen das Kind ausgeübt hat, sind Kinder schon allein dadurch mitbetroffen, dass sie fast immer die Gewalt gegen die Mutter auf irgendeine Weise miterleben.
Leider wird bei Entscheidungen zum Sorge- und Umgangsrecht für die Kinder sehr häufig trotzdem nicht berücksichtigt, dass der Vater gewalttätig gegenüber der Mutter war. Dann nutzen Täter die Sorgerechtsstreit, um die Frau weiter unter Druck zu setzen, es kommt auch zu gefährlichen Übergabesituationen und nicht zuletzt sind Kinder bei einem Mann, der offenbar gewalttätig gegenüber Frauen ist. Da gibt es in unserer Rechtsprechung noch viel Bedarf für Nachhilfe …
Was kann eine Betroffene tun, wenn ihr keiner glaubt oder sie nicht ernst genommen wird?
Leider passiert das immer noch zu häufig – der Mythos der Frau, die sich solche Taten ausdenkt, ist immer noch sehr präsent. Dann hilft es, sich an eine Frauenberatungsstelle oder ein Frauenhaus zu wenden.
Frauenhäuser in ganz Deutschland findet man unter: www.fh-suche.de, dieBeratungsstellen hier: https://www.frauenhauskoordinierung.de/hilfe-bei-gewalt/fachberatungsstellensuche/. Oder die Betroffene ruft das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen an. Dort beraten Berater_innen kostenlos 24 Stunden an jedem Tag im Jahr und auf 18 Sprachen gewaltbetroffene Frauen, aber auch Unterstützer_innen. Hier wird sie ernst genommen und es wird ihr geglaubt.
Was kann jemand tun, wenn er den starken und begründeten Verdacht hat, eine Freundin/Bekannte/Verwandte lebt in einer gewaltvollen Beziehung, sie es aber abstreitet? Hat man dann überhaupt eine Möglichkeit, ihr zu helfen?
Das geschieht recht häufig. Betroffene Frauen sind sich oft nicht sicher, ob und welche Schritte sie gehen werden. Wenn man sich Sorgen um eine Person im eigenen Umfeld macht, ist es wichtig, die eigenen Beobachtungen zu benennen, z.B. „Ich sehe, dass es dir in deiner Beziehung nicht gut geht und du häufig Verletzungen hast“. Und es ist wichtig, Hilfen aufzuzeigen: „Es gibt Beratungsstellen und ein Hilfetelefon, die dich unterstützen können, auch anonym. Und ich bin jeder Zeit für dich da, wenn du meine Hilfe brauchst.“ Trotzdem gilt: Die Entscheidungen muss die betroffene Frau selbst treffen, ein Drängen und das Organisieren von unabgesprochenen Hilfen nützen wenig und können zu einem Vertrauensverlust führen. Eine Ausnahme bildet da eine akute Gewaltsituation. Hier sollte zum Schutz der Frau und der Kinder die Polizei gerufen werden. Noch ein Hinweis: in schwierigen Zeiten, zum Beispiel in einer Quarantäne in der Corona-Zeit kann es für eine betroffene Frau besonders wichtig sein, regelmäßig Kontakt zu einer Vertrauensperson zu halten. In Telefonaten zu alltäglichen Dingen kann eine Gefährdungssituation deutlich werden und ggf. die Polizei eingeschaltet werden.
Leider schämen sich viele Opfer und leugnen es, was kann ich tun, um dem Opfer zu helfen, zu realisieren, dass sie keine Schuld trifft?
Viele gewaltbetroffene Frauen haben das tatsächlich das Gefühl, schuldig an den Gewaltexzessen des Partners zu sein. Das ist eine wichtige Täterstrategie: die Verschiebung der Schuld auf die Opfer, um diese aus Schamgefühl an der Suche nach Auswegen und Hilfen zu hindern. Das wird oft auch mit einem Appell an das Verantwortungsgefühl der Frauen verstärkt: „Du kannst mich doch nicht verlassen, ich bin in vielen Dingen hilflos ohne dich.“ Oder „Du kannst den Kindern doch nicht den Vater nehmen, das wäre sehr selbstsüchtig…“. Häufig leben gewaltbetroffene Frauen lange Zeit in der Misshandlungsbeziehung und haben diese Haltung verinnerlicht. Es ist wichtig als Freund_in, Kolleg_in oder Verwandte eine Sicht von außen zu vermitteln: „ Auch wenn er Probleme hat darf er dich nicht schlagen. Das ist nicht deine Verantwortung, er hat Grenzen überschritten. Du hast das Recht gewaltfrei zu leben.“ Zu einer veränderten Sicht auf das Gewaltverhalten des Partners zu kommen, kann aber ein längerer Prozess sein, der häufig auch professionelle Unterstützung durch eine Beratungsstelle oder ein Frauenhaus braucht.
Wie verhält man sich richtig, wenn man den Verdacht hat, dass es in seinem Umkreis einen Fall von häuslicher Gewalt gibt?
Ein wichtiger Appell an alle von uns ist: Seht nicht weg. Jede vierte Frau in Deutschland hat bereits Gewalt erlebt. Das heißt, dass jede_r von uns Menschen kennt, die betroffen sind.
Nicht immer sind Zeichen von Gewalt für uns unmittelbar ersichtlich – zumal der körperlichen Gewalt nicht selten jahrelange psychische Gewalt vorausgeht. Umso wichtiger ist es, aufmerksam für Anzeichen von Gewalt zu sein. Kennt man die betroffene Person gut, kann es helfen, sie (ohne Beisein des Täters) anzusprechen und Unterstützung zu signalisieren. Wird man beispielsweise bei Nachbar_innen Zeug_in einer Eskalation, kann es schon helfen, den Konflikt zu unterbrechen, indem man beispielsweise klingelt und nach Mehl oder Klopapier fragt. Und wenn das zu gefährlich ist oder die Dinge zu eskalieren drohen, ist es völlig in Ordnung und sogar wichtig, die Polizei zu rufen.
Nicht zu wissen, wie man helfen kann, kann sehr hilflos machen. Was viele nicht wissen: Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen steht nicht nur Betroffenen offen. Die Berater_innen sind auch für Menschen da, die in ihrem Umfeld Gewalt wahrnehmen oder vermuten und nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.
Hat sich der Ablauf bezüglich Covid-19 verändert und wenn ja, inwiefern?
Wie wohl bei uns allen hat Covid-19 einiges verändert. Grundsätzlich gilt: Auch in Zeiten der Pandemie waren und stehen Frauenhäuser und Beratungsstellen den Frauen und Kindern, die Hilfe suchen, offen. Selbst in Häusern, in denen es zu Infektionen und damit zu Quarantäne gekommen ist, waren stets Mitarbeiter_innen vor Ort für die Frauen da.
Viele Einrichtungen sind auf telefonische und digitale Beratung umgestiegen, um die Infektionsgefahr zu verringern. Das war für die meisten eine große finanzielle Belastung, denn oft verfügen die Einrichtungen nur über wenige Mittel und wenig technische Ausstattung. Hier sind aber mittlerweile Bund und Länder aktiv geworden, um diesen technischen Ausbau zu unterstützen.
Frauenhäuser, in denen sich oft Küchen und zum Teil auch Sanitäranlagen geteilt werden, versuchen die Belegung zu reduzieren etc., um Hygienemaßnahmen einzuhalten. Wenn möglich, werden vorbeugend Quarantäne-Stationen eingerichtet – für den Fall, dass es eine Infektion im Haus gibt – und vorübergehend weitere Unterbringungsmöglichkeiten, z.B. in leerstehenden Hotels, angemietet, um keine Frauen zurückweisen zu müssen. Einige Häuser haben Aufnahmestopps verhängt, um zunächst die Gesundheit der aktuellen Bewohner_innen zu schützen. Auch die Betreuung der Kinder, die nun rund um die Uhr im Haus sein mussten, musste an vielen Stellen neu gedacht und organisiert werden.
Mit der Pandemie sind viele Probleme – von der Ausstattung über personelle Unterbesetzung bis hin zur riesigen Baustelle der fehlenden Plätze – noch einmal sehr deutlich geworden und können auch von politischer Seite schwerer ignoriert werden.
»Gewalt gegen Frauen« ist ein wichtiges Thema, wie kann es stärker und gleichzeitig sensibel in die Öffentlichkeit gerückt werden?
Für uns sind zwei Aspekte besonders wichtig, wenn es um die öffentliche Wahrnehmung geht: Zum einen geht es um die Verantwortung, die Medienvertreter_innen bei der Berichterstattung zu Gewalt gegen Frauen haben. Denn es geht ja nicht nur darum, dass über das Ausmaß der Gewalt berichtet wird, sondern auch wie. Jeden Tag versucht laut Polizeistatistik in Deutschland ein Mann, seine (Ex-)Partnerin umzubringen. Und jeden dritten Tag gelingt das. Ganz wichtig ist, solche Taten nicht durch Formulierungen wie „Beziehungsdrama“ oder „Familientragödie“ zu verharmlosen, sondern klar zu benennen: Das sind schlimmer Gewalttaten, Femizide, zum Teil Morde. Sprache ist unheimlich wirkmächtig – man denke beispielsweise auch an Studien zu geschlechtergerechter Sprache – und deshalb ist es umso wichtiger, sie in solchen Zusammenhängen mit Bedacht einzusetzen.
Der zweite enorm wichtige Aspekt ist, dass es langfristig nicht reicht, immer nur Schadensbegrenzung zu betreiben. Wenn Frauen im Frauenhaus oder der Beratungsstelle landen, ist das Unheil ja schon geschehen. Für alle, die sich eine friedliche und gleichberechtigte Gesellschaft wünschen, muss das Ziel doch sein, dass solche Gewalt gegen Frauen verhindert wird. Und das geht nur, wenn wir uns klar machen, dass Gewalt in einem solchen Ausmaß kein Zu- oder Einzelfall ist, sondern ein riesiges Problem der ganzen Gesellschaft. Das Problem wurzelt tief in den Strukturen unserer Gesellschaft und in unserem Geschlechterverhältnis, das immer noch sehr ungleiche Machtverhältnisse als Normalität hinnimmt. Erst wenn wir das benennen und das Problem auch an diesen Wurzeln packen, können wir auch langfristig Gewalt auch verhindern. Über Gewaltschutz reden, ohne über das Geschlechterverhältnis reden zu wollen, ist auf Dauer nicht glaubwürdig und vor allem nicht erfolgversprechend.
Wir bedanken uns herzlich bei Frauenhauskoordinierung e.V. für die ausführliche Beantwortung unserer Fragen.